Donnerstag, 1. Dezember 2016

Vom Babyschock zum Gebärneid

Vor kurzem erzählte mir meine Freundin, eine froschgebackene Mutter von dem 3 Monate alten Tom, dass sie urplötzlich einen Zusammenbruch hatte. Aus Erschöpfung konnte sie gar nicht mehr aufhören zu weinen, gefolgt von Schüttelfrost und Hitzewallungen mit Schweißausbrüchen. Als selbst Schwangere in der 22 SSW war ich ganz aufgelöst von Wut und Trauer. Eigentlich war es verwunderlich, dass es so lange dauern sollte. In Erzählungen musste ich immer wieder hören, dass ihr Freund erst um 20:00 Uhr nach Hause kam und dann wohl zusätzlich drängte, dass das Kind nun aber auch schlafen müsse, so dass er sich auf seine Studien für die Ausbildung konzentrieren könne. Die Wochenenden sind desöfteren auch für die Ausbildung vorenthalten - Blockseminare in einer festen Gruppe - was soll Mann da machen?! Sehr viel meiner Meinung nach. Es macht mich sehr traurig zu erleben, dass sich in der heutigen Generation doch so wenig zu der meiner Eltern in Bezug auf Elternschaft geändert hat. Das ist natürlich auch strukturellen Bedingungen geschuldet. Über 60 % der Männer würden wohl gerne mehr Zeit in der Familie verbringen und sich um die Pflege der Kinder kümmern, lediglich 14% nehmen tatsächlich Elternzeit in Anspruch.
In dem Aufsatz "Die gespaltene Frau" von Maya Nadig, der zwar bereits 1989 verfasst wurde - mir dennoch noch sehr aktuell erscheint, beschreibt sie dass die Frau durch die Aufnahme von der Berufstätigkeit vorerst dem Mann im öffentlichen Leben gleichgestellt ist, sobald sie jedoch die Mutterschaft antritt "springt die Frau in der klassischen Rollendefinition zurück: sie versorgt den Mann, wäscht die Wäsche und kümmert sich natürlich zum größten Teil um das Kind.
Nach Nadig erlebt (wie wohl auch meine Freundin - den Erschöpfungszustand nicht außer Acht zu lassen) die Frau einen "Baby-Schock" eine tiefgreifende Krise, die Mutter kann aus zeitlichen und affektiven Gründen nicht mehr in dem Maße am öffentlichen Leben teilnehmen - und wie mir meine Freundin erklärte, stellt sie vor allem ihren Rhythmus total auf den Neuankömmling ein und verliert damit zu einem großen Teil den Bezug zu sich selbst und den eigenen Bedürfnissen. Kaplan spricht von einem endlosen Folge von Stillen, Halten, Wickeln und Baden.
Nach Nadig wird sie  "als aktives Mitglied der Gesellschaft entmündigt". Sie spricht hier von einer Spaltung zwischen gesellschaftlichen Aktivitäten und Mutterschaft. Die Mutterschaft sei zu einer individuell psychischen Leistung geworden. Demnach passiert es auch leicht, dass das Kind zum Selbstobjekt, der narzisstischen Aufwertung der Mutter missbraucht wird bzw. die Mutter viel an eigener Bedürfnisse an das Kind delegiert. Irgendwo müssen ja die erlebten Ambivalenzen und Aggression, das mangelnde Selbsterleben, der Wegbruch von Anerkennung durch Beruf und gesellschaftlichen Engagement ausagiert werden, wenn sie nicht auf andere Art und Weise verarbeitet werden können. In fast jeder der 10 Anamnesen die bereits erfasst habe und in den Erfahrungen im Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst waren das die Hauptkonflikte der Eltern - dass die Mutter in seltenen Fällen der Vater (gibt eben nicht so viele Alleinerziehende) das Kind noch in einer sehr engen symbioseähnlichen Beziehung hielt, um die Lieben und Anerkennung und den Halt zu erfahren, die es woanders nicht bekommen kann.
Dabei lehrt uns die Forschung, dass es in anderen Kulturen oder in früheren Generationen ganz anders läuft. In den südamerikanischen Bauernkulturen gewinnt die Frau durch die Mutterschaft die volle Mitgliedschaft in der Gesellschaft. Die Mutter erhält einen erweiterten Macht- und Funktionsraum in der Familie der Schwiegereltern. Die Mutterschaft bringt so größere soziale Anerkennung in der Gesellschaft und materielle Unabhängigkeit mit sich. In den ersten Monaten wird die Mutter zudem von der Schwiegermutter, Mutter und den Schwägerinnen umsorgt. Der Mann ist bei der Geburt präsent und unterstützt mit Massagen etc. Im dritten bis vierten Lebensmonat wird durch eine Zeremonie die enge Mutter-Kind-Beziehung für die Außenwelt - die öffentliche Welt geöffnet. Damit wird die Frau als Mutter mit dem Kind nicht aus dem öffentlichen Leben ausgeklammt, sondern sind ein wichtiger Bestandteil des kulturellen Lebens. Die Krise ist weitgehend aufgehoben, da es eine größere emotionale Teilnahme andere Personen gibt und die Alltagsanforderungen der Mutter aufgeteilt sind und nicht alleine auf ihren Schultern lasten. Negative Gefühle können durch kulturelle Sichtweisen (wie der böse Blick oder Naturgeister) nach außen projiziert werden und finden so eine Form der Abwehr.
Auch ich habe mich in den letzten Monaten stark mit dem Gedanken um eine religiöse Erziehung beschäftigt. Ich bin evangelisch erzogen worden - die Betonung liegt auf "erzogen" weil dies natürlich im ländlichen Bereich auch viel mit sozialer Kontrolle zu tun hat - den guten Ruf nicht zu verlieren etc. Dennoch kann ich mich weiterhin sehr mit vielen christlichen werten identifizieren - wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Zudem fände ich das Leben ohne eine gewisse Spiritualität sehr karg und trostlos - ja ich denke, dies ist besonders auf Kinder bezogen ein richtiger Begriff - "der liebe Gott" hat mir in meinen jungen Jahren viel Trost gespendet. Es ist ein wenig irrwitzig, aber vielleicht auch gar nicht, dass mir gerade die Serie "Transparents" in der es um viel Neuorientierung und deswegen auch Orientierungslosigkeit und Identitätssuche geht zeigte wie viel Geborgenheit und Familienzusammenhalt religiöse Rituale geben können.
Nun weiß ich ja was ich für Sicherheitsvorkehrungen treffen muss, um nicht sogleich einer Krise ausgesetzt zu sein. Vorausgesetzt mein Mann und meine Umwelt spielt mit, was ich doch mal schwer hoffen mag.
Interessant ist, dass ich nach den ersten Wochen Schwangerschaft, in denen ich an allen nur erdenklich hässlichen Schwangerschaftsymptomen litt, mich als Schwangere eher minderwertig fühlte. Erst als meine Arbeitskolleg*innen und meine Vorgesetzte sehr positiv auf die neue Botschaft reagierten regenerierte sich wieder meine Gefühl zu mir selbst und die Freude über den wachsenden Bauch verstärkte sich. Schließlich ist so eine Schwangerschaft doch ein riesiges Abenteuer mit sich selbst, einem neuen Wesen, dem Partner und der Umwelt. Frau lernt sich selbst, jeden und alles noch einmal von einer ganz anderen Perspektive kennen. Ja und dann gibt es ja auch noch den Gebärneid der Männer auf die Frauen. Wahrscheinlich kann das so manch eine Frau und manch ein Mann nicht ganz verstehen - doch mein Partner ist einer der seltenen Personen die sich dies eingestehen kann und mir zu gerne die Schwangerschaft abgenommen hätte :-) Um damit diese lange Ausführung zu beenden - es geht also viel um "sich eingestehen" ob sich selbst, der Partner, die Mitmenschen oder eben auch die Gesellschaft.

Samstag, 27. Februar 2016

Uns in der heutigen Zeit ferne Worte

"Um menschlich zu handeln", schreibt Butler, "muss man seine Souveränität einbüßen" und dem Anderen offen und einfühlsam begegnen.