Freitag, 14. Dezember 2012

Interview mit Eva Illouz

polar: Ist diese schichtspezifische Analyse der Partnerwahl nicht etwas traditionell? In Ihren Frankfurter Adorno-Vorlesungen „Gefühle im Zeitalter des Kapitalismus“ untersuchen Sie unter anderem die Auswirkungen neuer Technologien auf unser Gefühlsleben. Verändert das Internet die Partnerwahl?

Illouz: Das Internet überträgt die ursprüngliche Metapher eines „Marktes“ von Beziehungen vollständig in die Realität. Bei Online-Partnerbörsen bestimmen die User bis ins kleinste Detail ihre Präferenzen. Die Suche folgt der puren Logik der rationalen Wahl. Der User kann aus einer Masse an Menschen, einem gigantischen Pool potenzieller Partner wählen. Das Marktangebot ist schier endlos. Feste Attribute gewährleisten die Vergleichbarkeit. Man kann sich zunächst sehr einfach und zwanglos auf jemanden einlassen. Die meisten User gehen gleichzeitig auf mehrere Kontakte ein. Das traditionelle Konzept von Liebe gründete auf Seltenheit. Das Internet bringt romantische Kontakte im Überfluss. Die Ökonomie der Liebe hat sich dadurch radikal verändert.

polar: Was bedeuten diese Veränderungen für die Qualität von Gefühlen? Erwarten uns wirklich „Cold Intimacies“, wie der englische Titel Ihres neuesten Buches suggeriert?

Illouz: Das Internet hat einen bisher beispiellosen Zynismus geschaffen – einen Zynismus, der der Wiederholung entspringt. Dieser Vorgang gleicht einem Spiel, das wir wahrscheinlich alle als Kinder ausprobiert haben. Man wiederholt ein Wort so lange, bis es seine Bedeutung verliert. Auch die Geschichte von Don Juan handelt davon. Unter extremer Wiederholung wird selbst die sexuelle Begegnung eintönig. Das Kennenlernen im Internet unterwirft romantische Begegnungen einem klaren Raster und Drehbuch. Durch die häufige Wiederholung werden romantische Handlungen eintönig. Unsere Gefühle stumpfen ab, werden zynisch.

polar: Das klingt nun aber gar nicht mehr nach „immanenter“, sondern nach einer sehr expliziten Kritik.

Illouz: Richtig. Die Erfahrungen, die ich in meiner letzten Untersuchnung erklären musste, waren wesentlich komplexer. Die Partnersuche im Internet bietet durchaus Vorteile. Die klassischen Geschlechterrollen sind weitgehend aufgehoben. Eine Frau kann selbst einen Kontakt einleiten. Viele Frauen berichteten, dass sie sich dadurch wesentlich freier fühlen. Aber allgemein herrscht ein larmoyanter Ton vor. Das Internet formalisiert in sehr scharfer Weise den eigenen Marktwert. Die Mehrheit erfährt dadurch aber hauptsächlich die fehlende Nachfrage. Ein klassisch marxistisches Thema: Der Kapitalismus arbeitet gegen sich selbst. Die Logik der rationalen Wahl untergräbt die Erfahrung romantischer Begegnungen. Die virtuelle Suche nach Romantik zerstört ihr eigenes Objekt.

polar: Gibt es irgendeinen Ausweg aus diesem Dilemma?

Illouz: Es gibt keinen Weg zurück, aber ich glaube an die Kreativität menschlichen Handelns. Wir sind weit davon entfernt, unser sexuelles und emotionales Leben komplett aus der Hand zu geben. Die Idee der Freiheit der freien Selbstbestimmung unser intimen Beziehungen wird nicht verschwinden. Diese Logik der freien Wahl wird sich weiter ausbreiten und vertiefen. Jede neue Entwicklung der Romantik müsste innerhalb dieser Logik entstehen. Das Internet hat und wird weiterhin unsere romantischen Empfindungen verändern. Die technologische Entwicklung des Internet wird auch nicht die letzte bleiben. Wir finden andere Wege und die Kultur der zwischenmenschlichen Begegnungen passt sich daran an. Die Fähigkeit allerdings, langfristige Bindungen einzugehen, schwindet, da sie von der Vorstellung abhängt, dass der Partner einzigartig ist. Die Idee des einen und nur einen Gegenparts, welche den Kern der traditionellen romantischen Liebe bildete, ist unwiderbringlich verloren.

Gespräch und Übersetzung von Bertram Keller

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