polar: Ist diese schichtspezifische Analyse der
Partnerwahl nicht etwas traditionell? In Ihren Frankfurter Adorno-Vorlesungen
„Gefühle im Zeitalter des Kapitalismus“ untersuchen Sie unter anderem die
Auswirkungen neuer Technologien auf unser Gefühlsleben. Verändert das Internet
die Partnerwahl?
Illouz: Das Internet überträgt die ursprüngliche
Metapher eines „Marktes“ von Beziehungen vollständig in die Realität. Bei
Online-Partnerbörsen bestimmen die User bis ins kleinste Detail ihre
Präferenzen. Die Suche folgt der puren Logik der rationalen Wahl. Der User kann
aus einer Masse an Menschen, einem gigantischen Pool potenzieller Partner
wählen. Das Marktangebot ist schier endlos. Feste Attribute gewährleisten die
Vergleichbarkeit. Man kann sich zunächst sehr einfach und zwanglos auf jemanden
einlassen. Die meisten User gehen gleichzeitig auf mehrere Kontakte ein. Das
traditionelle Konzept von Liebe gründete auf Seltenheit. Das Internet bringt
romantische Kontakte im Überfluss. Die Ökonomie der Liebe hat sich dadurch
radikal verändert.
polar: Was bedeuten diese Veränderungen für die Qualität
von Gefühlen? Erwarten uns wirklich „Cold Intimacies“, wie der englische Titel
Ihres neuesten Buches suggeriert?
Illouz: Das Internet hat einen bisher
beispiellosen Zynismus geschaffen – einen Zynismus, der der Wiederholung
entspringt. Dieser Vorgang gleicht einem Spiel, das wir wahrscheinlich alle als
Kinder ausprobiert haben. Man wiederholt ein Wort so lange, bis es seine
Bedeutung verliert. Auch die Geschichte von Don Juan handelt davon. Unter
extremer Wiederholung wird selbst die sexuelle Begegnung eintönig. Das
Kennenlernen im Internet unterwirft romantische Begegnungen einem klaren Raster
und Drehbuch. Durch die häufige Wiederholung werden romantische Handlungen
eintönig. Unsere Gefühle stumpfen ab, werden zynisch.
polar: Das klingt nun aber gar nicht mehr nach
„immanenter“, sondern nach einer sehr expliziten Kritik.
Illouz: Richtig. Die Erfahrungen, die ich in
meiner letzten Untersuchnung erklären musste, waren wesentlich komplexer. Die
Partnersuche im Internet bietet durchaus Vorteile. Die klassischen
Geschlechterrollen sind weitgehend aufgehoben. Eine Frau kann selbst einen
Kontakt einleiten. Viele Frauen berichteten, dass sie sich dadurch wesentlich
freier fühlen. Aber allgemein herrscht ein larmoyanter Ton vor. Das Internet
formalisiert in sehr scharfer Weise den eigenen Marktwert. Die Mehrheit erfährt
dadurch aber hauptsächlich die fehlende Nachfrage. Ein klassisch marxistisches
Thema: Der Kapitalismus arbeitet gegen sich selbst. Die Logik der rationalen
Wahl untergräbt die Erfahrung romantischer Begegnungen. Die virtuelle Suche nach
Romantik zerstört ihr eigenes Objekt.
polar: Gibt es irgendeinen Ausweg aus diesem
Dilemma?
Illouz: Es gibt keinen Weg zurück, aber ich
glaube an die Kreativität menschlichen Handelns. Wir sind weit davon entfernt,
unser sexuelles und emotionales Leben komplett aus der Hand zu geben. Die Idee
der Freiheit der freien Selbstbestimmung unser intimen Beziehungen wird nicht
verschwinden. Diese Logik der freien Wahl wird sich weiter ausbreiten und
vertiefen. Jede neue Entwicklung der Romantik müsste innerhalb dieser Logik
entstehen. Das Internet hat und wird weiterhin unsere romantischen Empfindungen
verändern. Die technologische Entwicklung des Internet wird auch nicht die
letzte bleiben. Wir finden andere Wege und die Kultur der zwischenmenschlichen
Begegnungen passt sich daran an. Die Fähigkeit allerdings, langfristige
Bindungen einzugehen, schwindet, da sie von der Vorstellung abhängt, dass der
Partner einzigartig ist. Die Idee des einen und nur einen Gegenparts, welche den
Kern der traditionellen romantischen Liebe bildete, ist unwiderbringlich
verloren.
Gespräch und Übersetzung von Bertram Keller
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